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Sterbende Demokratien – Symptome versus Ursachen


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Beim Durchzappen des Abendprogramms hatte ich auf einen guten Film gehofft. Stattdessen weckte der Titel einer Dokumentation meine Aufmerksamkeit: «Sterbende Demokratien». Damit war es um meinen Plan für einen entspannten Abend geschehen.

In der Beschreibung zum Film ist auf der Website von 3Sat zu lesen: «Die Aneinanderreihung von Krisen lässt die Menschen immer unsicherer werden und nach einfachen Antworten suchen…macht die Menschen zunehmend nervös, da sie ihren Wohlstand und ihr ruhiges Leben bedroht sehen. Rechtspopulisten nutzen diese Situation aus, in dem sie Feindbilder kreieren, gegen die sie ihre jeweilige Nation verteidigen und schützen wollen.» Aus dem Film entnehme ich weiter, dass der Erfolg der Rechtspopulisten auf Angstmacherei und Suche nach Sündenböcken ruht, oft sind dies die Migranten und die politische Elite der EU. Einmal an der Macht, passen die Populisten die nationalen Verfassungen zu ihren Gunsten an und schaffen in einem schleichenden Prozess die demokratischen Institutionen ab. Die Nation steht für die Populisten an oberster Stelle, weshalb sie die EU abschaffen oder auf ein loses »Europa der Nationen« reduzieren wollen.

Es mag nicht die Absicht der Filmemacher gewesen sein, aber mir persönlich scheint es, dass die Dokumentation nicht weit weg vom Populismus ist, den sie selbst anprangert: Der Zuschauer soll Angst haben, dass die Demokratien abgeschafft werden. Verantwortlich dafür sind die Menschen, die rechte Parteien wählen, die ihnen einfache Lösungen vorgaukeln. Personen wie Giorgia Meloni, Geert Wilders, Marine Le Pen und Victor Orban werden als Feindbilder dargestellt.

Tatsächlich stehen Demokratien vor grossen Herausforderungen. Dass Menschen sowohl nach rechts als auch nach links radikalere Positionen einnehmen und populistische Parteien wählen, ist jedoch keine Ursache, sondern ein Symptom für die aktuelle Lage – oder, wenn man so will, das «Sterben» der Demokratien. Die Beweggründe der Wähler gilt es zu beachten und nicht nur die Resultate. Aus meiner Sicht gibt es mehrere Punkte, die teilweise miteinander verknüpft sind:

1. Zentrale Probleme werden von den etablierten Parteien seit Jahrzenten nicht konsequent angegangen, geschweige denn gelöst (Gesundheitswesen, Rentensysteme, Migration, Umwelt usw.). Statt grundlegende Lösungen zu finden, wird nur an kleinen Stellschrauben gedreht, wie etwa der Erhöhung der Franchisen oder des Rentenalters. Oft sind die Ansätze zum Nachteil der Bürger. Etablierte Parteien rühren das Thema Migration nicht an, da sie Angst haben als Rassisten beschimpft zu werden. Den gewählten Politikern fehlen die Visionen und der Mut, tatsächlich Verantwortung für weitreichende Veränderungen zu übernehmen. Der Vorteil der Demokratie, alle einzubeziehen, erweist sich oft als Nachteil. Die Erarbeitung von Lösungen ist langwierig, ineffizient und kann von mächtigen Lobbys beeinflusst werden. Wenn etablierte Parteien keine Lösungen finden, geben die Wähler anderen Parteien die Chance.

2. Wahlversprechen werden nicht eingehalten. Ein aktuelles und extremes Beispiel ist Friedrich Merz, der im Wahlkampf versprochen hatte, an der Schuldenbremse festzuhalten. Noch nicht im Amt macht er diesbezüglich eine 180-Grad Kehrtwende. Möglicherweise auch bei der versprochenen härteren Gangart zur Bekämpfung illegaler Migration. Die Hoffnung scheint darauf zu beruhen, dass die Wähler dieses Verhalten bei den nächsten Wahlen vergessen haben. Ansonsten könnte dies eine direkte Förderung der AfD zur Folge haben. Diesem Beispiel aus Deutschland, aber auch aus anderen Ländern, steht das Verhalten von Javier Milei und Donald Trump gegenüber. Der argentinische Präsident hat seine Wähler von Anfang an wissen lassen, dass seine Massnahmen zunächst einschneidend sein werden, bevor sie zu mehr Wohlstand führen. Trump setzt seine Versprechen seit seinem Amtsantritt um, wenn auch unkonventionell und ohne Rücksichtnahme sowie mit unabsehbaren Folgen.

3. Lösungsansätze führen zu mehr Regulierung, Bürokratie und Kontrolle. Dabei wird die Komplexität der Themen unnötig erhöht, statt sie zu reduzieren. Selbstverständlich erzeugt diese «Verkomplizierung» bei den Wählern und den Unternehmern den Wunsch nach einfachen Lösungen. Wenn Ideen aufkommen, den Bürgern vorzuschreiben, was sie zu essen haben, wie sie schreiben oder welche Heizung sie einbauen müssen, oder wenn Unternehmen aufwändige Nachhaltigkeitsberichte und Lieferkettenvorgaben erfüllen müssen, kommt das nicht bei allen gut an. Individuelle und unternehmerische Freiheiten werden durch die Regierungen eingeschränkt, erzeugen einen Vertrauensverlust und führen zu veränderten Wahlverhalten.

4. Regierungen gehen nicht haushälterisch mit Finanzen um. Viele westeuropäische Länder sind hochverschuldet. Nun wird sich Deutschland aufgrund des neuen, über 500 Milliarden EUR schweren Infrastruktur- und Sicherheitspaketes in der Liste dieser Länder einreihen. Diese beiden Themen sind die grundlegenden Aufgaben eines Staates. Die Frage drängt sich auf, wofür das Geld bisher verwendet wurde. Die Vorgehensweise des Department of Government Efficiency (DOGE) in den USA ist sicherlich fraglich. Trotzdem zeigt sich, dass das Geld beim Ausgeben locker in der Tasche sitzt. Das dürfte nicht nur in den USA so sein. Einmal bewilligte wiederkehrende Ausgaben werden oft nicht mehr hinterfragt. Leider ist es so, dass Staatsverschuldungen zu einer Ausweitung der Geldmenge und somit zu einer Geldentwertung führen. Verlierer der Inflation ist der brav sparende und steuerzahlende Stimmbürger, der zusehen muss, wie der Sozialstaat das Geld vernichtet.  

5. Gewählte «Mehrheiten» werden nicht Teil der Regierung. In Spanien bekam die konservative Partei «Partido Popular» bei den letzten Wahlen im Jahr 2023 mit 33.1% die meisten Stimmen. Die Sozialisten ziehen es dennoch vor mit nationalistischen Separatisten zu koalieren, um so ihre Erzrivalen auszuschliessen. Im Februar 2025 erhielt die AfD in Deutschland 20.8% der Stimmen. Die CDU als Gewinnerin mag ihre Argumente haben, sich nicht mit der AfD zusammenzuschliessen. Tatsache bleibt aber, dass 20.8% der Bürger sich nicht ausreichend vertreten sehen. Die Reaktion darauf kann sein zu resignieren oder eine radikalere Position einzunehmen.

6. Die obersten Gerichte werden mit parteifolgsamen Richtern besetzt. Dies erfolgt allerdings nicht nur durch rechte Parteien, auch die sozialistischen Parteien wenden diese Strategie an (siehe Spanien). Wenn Parteien so vorgehen und wenn Richter Entscheide fällen, die vom Volk nicht nachvollziehbar sind, dann entsteht Zweifel an der Gerechtigkeit und am System.

7. Die politische Spaltung wird nicht verhindert, sondern teilweise sogar gefördert. Heute und verstärkt seit der Corona-Pandemie, scheinen Argumente nicht mehr wichtig zu sein, es geht nur noch um Ideologien. Man darf nur noch dafür oder dagegen sein. Man ist für die Ukraine oder für Russland, man ist ein Trump-Anhänger oder nicht, man ist für erneuerbare Energien oder dagegen. Wer hinterfragt, weil die Welt nicht schwarz/weiss ist, wird gleich als Teil der anderen Seite angesehen. Wer Migrationsthemen kritisch anspricht, wird als (Ultra-)Rechter und als undemokratisch abgestempelt. Linke Parteien sehen sich als die wahren Demokraten. Es vergeht zum Beispiel keine Rede im Bundestag oder im spanischen Parlament, in der nicht erklärt wird, wer die richtigen Demokraten sind – und damit wird weiter Öl ins Feuer gegossen. Auch auf der rechten Seite gibt es Beispiele. Wer Atomkraft als problematisch erachtet und deshalb einem verstärkten Ausbau erneuerbarer Energien positiv gegenübersteht, wer dem Konsumwahn kritisch gegenüber ist und die Biodiversität erhalten möchte, gilt schnell als «Grüner» oder «Linker». Mitteparteien schaffen es nicht, diese Polarisierung zu verhindern und tendieren in der Regel nach links.

8. Die öffentlichen Medien zeigen keine ausgewogene Berichterstattung. Sich sachlich und umfassend zu informieren ist zeitlich sehr aufwendig. Die wenigsten haben dazu die Zeit bzw. nehmen sich diese nicht. Bequemer ist es, die Ansichten der öffentlich-rechtlichen Medien und der grossen Verlage zu übernehmen. Aus diesem Grund haben diese Institutionen eine enorme Macht und damit in einer Demokratie eine entsprechende Verantwortung bei der Meinungsbildung. Die einseitige, unkritische und angstmachende Berichterstattung während der Pandemie war problematisch und trägt teilweise bis heute zur Polarisierung der Gesellschaft bei. In Bezug auf den Krieg in der Ukraine wäre es angebracht, die bei vielen Politikern fehlende Nüchternheit zu übernehmen, um eine gefährliche Kriegstreiberei zu vermeiden.

In den Talkshows im deutschsprachigen Raum unterscheiden sich die Meinungen der eingeladenen Gäste oft zu wenig. Die Diskussionen dienen häufig mehr der gegenseitigen Bestätigung als der fundierten Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ansichten und Argumenten, die den Zuschauern bei ihrer eigenen Meinungsbildung helfen könnten. Bedenklich ist zudem das Verhalten mancher Moderatoren. Wird doch eine Person mit einer kritischen Meinung eingeladen, kann es vorkommen, dass der Moderator diese Person besonders schroff und aggressiv behandelt.

Wer sich dennoch die Zeit nimmt, sich eine fundierte Meinung zu bilden, informiert sich über andere Kanäle wie Social Media, Blogs sowie alternative Radio- und Fernsehsender. Die Informationsflut ist gross und die Falschmeldungen zahlreich. Politiker von links und rechts beanspruchen für sich die Kompetenz zu bestimmen, was richtig und was falsch ist, anstatt dies dem mündigen Bürger zu überlassen. Wieder einmal wird die Lösung darin gesehen, Gesetze zu schaffen – in diesem Fall, um den Umgang mit Fake News zu regeln. Gefährlich wird es, wenn diese Gesetze dem Staat neue Möglichkeiten zur Kontrolle der Privatsphäre geben oder der jeweiligen Regierung erlauben, in Krisenzeiten zu bestimmen, was kommuniziert werden darf.     

Diese aufgezählten Punkte sind u.a. die Ursachen für den heutigen Zustand oder, wenn man so will, für das «Sterben» der Demokratien. Extreme Positionen und Populisten sind für Demokratien kein Problem, ja sogar notwendig. Sie bereichern die politische Diskussion, zeigen unterschiedliche Argumente auf und ermöglichen es, sich selbst und die eigene Meinung kritisch zu hinterfragen. Aber die zentrifugalen Kräfte müssen gezügelt werden. Politiker mit Integrität sind nötig, um die erwähnten Punkte anzugehen!

Quellen:

https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/sterbende-demokratien-erosion-von-innen-100.html

https://www.3sat.de/gesellschaft/politik-und-gesellschaft/sterbende-demolkratien-aufstieg-der-populisten-100.html

Eine Antwort zu „Sterbende Demokratien – Symptome versus Ursachen“

  1. Avatar von Brigitta

    Super Fernando!
    Entspricht ziemlich genau meinen Ansichten.
    Dieses schwarz-weiss Denken ist ein grosses Übel. Fast täglich erlebe ich, dass ich sofort in einen Topf gesteckt werde, wenn ich eine differenzierte, vom Mainstream abweichende Aussage mache.

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